So begann es …

Als die Gesellschaft der Musikfreunde 1812 gegründet wurde, verstand sie sich als „Dilettantenverein“. Zu diesem Zeitpunkt war das Wort ‚Dilettant’ allerdings noch kein Schimpfwort – im Gegenteil! Man meinte damit den eigentlichen Künstler, der im Gegensatz zum Berufsmusiker unentgeltlich und nur aus Liebe zur Musik spielt. So bestand die Gesellschaft neben unterstützenden auch aus so genannten „ausübenden Mitgliedern“, die oftmals vor allem durch Musiker des Hofopernorchesters recht gut ausgebildet waren. Um die Ausbildungsqualität nicht nur zu erhalten, sondern sogar noch zu steigern, gründete die Gesellschaft 1817/1819 das Konservatorium. Die meisten seiner Absolventen fanden ihren Platz schließlich im Hofopernorchester.  Nach wie vor gestalteten jedoch Dilettantenensembles, die oft auch von Berufsmusikern unterstützt wurden, diverse Konzertveranstaltungen wie die Gesellschaftskonzerte oder die „Spirituel-Concerte“.

Zwar hatte sich das Hofopernorchester schon mehrmals auch mit Konzerten präsentiert, doch blieb es Otto Nicolai vorbehalten, mit dem ambitionierten Anspruch, „mit den besten Kräften das Beste zur Aufführung zu bringen“, 1842 die „Philharmonischen Concerte“ ins Leben zu rufen. Neben diesen existierten die Gesellschaftskonzerte weiter, bildeten zu den philharmonischen Konzerten aber geradezu eine Konkurrenz, obwohl die Mitwirkenden teilweise identisch waren, was zu ernsten Spannungen und Unstimmigkeiten führte.

Johann Ritter von Herbeck setzte sich daher dafür ein, die Gesellschaftskonzerte von einem eigenen Orchester ausführen zu lassen, zumal sich nicht zuletzt durch das Konservatorium die künstlerische Qualität auch der Dilettanten deutlich gesteigert hatte.

1859 beschloss schließlich die Gesellschaft eine Statutenänderung, mit der die Gründung des Orchestervereins als Zweigverein der Gesellschaft der Musikfreunde besiegelt wurde. Somit ist der Orchesterverein der Gesellschaft der Musikfreunde das älteste Amateurorchester Wiens.

Von diesem Zeitpunkt an war das Ensemble ein wesentlicher Bestandteil der Wiener Musikkultur, repräsentiert es doch bis heute im ureigensten Wortsinn des Dilettantentums die Gründungsidee der Gesellschaft der Musikfreunde.

Ab den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts stellte sich eine sehr wechselhafte Entwicklung ein. Auf manche Abstiegstendenzen folgte um 1900 noch einmal ein Aufschwung, der durch die Krisen der ersten 50 Jahre des 20. Jahrhunderts schwer beeinträchtigt wurde, sodass der weitere Bestand des Orchesters stets gefährdet war. Der zaghafte Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg versprach zwar eine Aufwärtsentwicklung, die aber letztlich nicht von Dauer war.

Die krisenhaften Entwicklungen waren nicht nur den allgemeinen historischen Gegebenheiten geschuldet. Das Orchester musste sich zunehmend der Konkurrenz der professionellen Klangkörper und der höher entwickelten Technik der Tonträger stellen.  Der damit verbundene Wertewandel – an die Stelle der Hausmusik trat zunächst die LP und sodann die CD – bedrohte in der Saison 1992/93 die Existenz des Orchestervereins. Als der Verein 1993 schließlich nur noch 14 Mitglieder zählte, konnte sein Fortbestand nur durch die Fusion mit einem anderen Wiener Amateurensemble, dem Gersthofer Kammerorchester, gesichert werden. Heute finden sich nahezu alle Alters- und viele Berufsgruppen in diesem Klangkörper vereint. Damit gelang es, die Tradition des Musizierens und öffentlichen Auftretens fortzusetzen; vor allem durfte das Orchester wieder im Großen Musikvereinssaal Konzerte geben und an seine einst bedeutende künstlerische Tradition anknüpfen.

 

Im Lauf der Geschichte musizierten zahlreiche herausragende Künstler mit dem Orchester. Neben vielen anderen finden sich hier Johannes Brahms, der als Pianist und Dirigent wirkte, der Geiger Arnold Rosé, Hofopernsängerin Elisabeth Schumann, der Dirigent Lovro von Matacic, die Pianisten Jörg Demus, Paul Badura-Skoda, Ingrid Haebler, sowie in der jüngeren Geschichte der Kontrabassist Ludwig Streicher, der Geiger Ernst Kovacic, der Pianist Markus Schirmer, die Sopranistin Ildikó Raimondi, das Altenberg Trio und das Artis Quartett.

Darüber hinaus gehört es zur Vereinsphilosophie, auch jungen, aufstrebenden Künstlern eine Gelegenheit zu bieten, sich dem Publikum zu präsentieren. Stellvertretend seien hier genannt: der Geiger Henryk Szeryng, der 1934 als 16Jähriger auftrat, 1956 spielte der Pianist Alfred Brendel, 1964 präsentierte sich die 16jährige Pianistin Mitsuko Uchida. 2004 wurde der damals erst 19jährige Pianist Ingolf Wunder eingeladen, den Solopart des Tschaikowsky-Konzertes zu spielen. Sechs Jahre später gewann er beim renommierten internationalen Chopin-Wettbewerb den zweiten Preis.

So ist es heute …

Seit über zwanzig Jahren leitet Robert Zelzer das Ensemble mit großem Erfolg. Daneben wurden aber auch manchmal andere Dirigenten wie z. B. Raphael Schluesselberg oder Marta Gardolińska zu Gastdirigaten eingeladen, die mitunter für neue Impulse sorgten.

Der Erfolg, der sich mit der Rückkehr in den Großen Saal des Musikvereins einstellte, führte dazu, dass es mittlerweile wieder Tradition ist, mindestens einmal im Jahr im Goldenen Saal aufzutreten. Zusätzlich erfolgen auch stets Einladungen zu Konzerten verschiedener Veranstalter. Junge, aber auch bereits arrivierte Künstler arbeiten gern mit dem Orchesterverein zusammen. Einen besonderen Höhepunkt stellte 2012 die nach vielen Jahrzehnten erstmals wieder einmal erfolgte Zusammenarbeit mit dem  Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde, dem zweiten Zweigverein der Gesellschaft, dar: Im Rahmen eines Festkonzerts anlässlich des zweihundertjährigen Bestehens der Gesellschaft der Musikfreunde wurde Joseph Haydns „Schöpfung“ im Goldenen Saal aufgeführt.

Beschränkten sich die Programme bis vor wenigen Jahren auf Werke vom Barock bis zur Romantik, stellt sich das Orchester heute auch Werken des 20. Jahrhunderts und zeitgenössischer Musik. So vergab der Orchesterverein Kompositionsaufträge an Fritz Keil (2003), Igor Lintz-Maues (2009) und Florian C. Reithner (2014) und widmete sich der jeweiligen Uraufführung.

Seit dem Herbst 2004 kooperiert die Akademische Bläserphilharmonie Wien mit großem Enthusiasmus mit dem Orchesterverein, was eine echte Bereicherung darstellt, erschloss dies doch dem Orchester neue Klangdimensionen und erweiterte die Möglichkeiten der Programmgestaltung. So konnten Werke präsentiert werden, die man a priori nicht auf dem Programm eines Amateurorchesters erwarten würde, wie z. B. Ludwig van Beethovens 9. Symphonie, Anton Bruckners Symphonien Nr. 4, 5 und 7, Gustav Mahlers 1. Symphonie, Camille Saint-Saëns’ Orgelsymphonie, Dmitri Schostakowitschs 5. Symphonie sowie viele andere. Zudem wurden viele der Mitwirkenden zu Mitgliedern des Orchestervereins.

Um seinen hohen Qualitätsansprüchen treu bleiben zu können, wird das aus begeisterten Amateuren bestehende Ensemble allerdings auch in Zukunft nicht mehr als drei Konzertprogramme pro Saison erarbeiten.