Gustav Mahler: 2. Symphonie

Kurze Werkbesprechung

Trotz seines sehr ambivalenten Verhältnisses zu musikalischen Programmen verfasste Mahler im Nachhinein auch zu seiner 2. Symphonie Erklärungen, die er allerdings später wieder zurückzog. Sie spiegeln nicht den musikalischen Ablauf wider, können aber bei der Annäherung an sein Schaffen vielleicht hilfreich sein.

Der 1. Satz knüpft an die 1. Symphonie an: „Wir stehen am Sarge eines geliebten Menschen, unserem Helden aus der Ersten Symphonie. […] Warum hast du gelebt? Warum hast du gelitten? Ist das alles nur ein großer, furchtbarer Spaß?“ (Mahler).

Über dem Grundrhythmus eines Trauermarsches drängen unruhige Figuren aus den tiefen Streichern und entfalten sich kraftvoll, ehe eine zarte Kantilene in lichte Sphären aufsteigt, die aber immer wieder von dem kraftvollen Gedanken verdrängt wird. Am Ende der wiederholten Exposition folgt ein choralartiger Gedanke. Die breit angelegte, mehrteilige Durchführung zielt auf den Grundgedanken des Finales. Manche lyrische Passagen vermögen die bedrohliche Stimmung nicht aufzuhellen. Das Anfangsmotiv des Dies irae erscheint ebenso wie das Kreuzmotiv, das auf das Auferstehungsmotiv vorausdeutet. Kurz keimt Hoffnung auf, mündet dann in eine leidenschaftliche Klage. In der Reprise erscheinen die Motive deutlich komprimiert; es erfolgt keine weitere Entfaltung. In den oft scharfen, unvermittelten Einschnitten haben diese Passagen eine „Tendenz zusammenzustürzen“ (Th. W. Adorno).

Der 2. Satz führt in eine völlig andere Welt. „Seliger Augenblick aus dem Leben des Toten, wehmütige Erinnerungen“ (Mahler). Der Komponist verstand ihn nicht als Gegensatz, sondern als „Diskrepanz“. Ein fröhlicher Ländler, der an Schubert denken lässt, weckt Erinnerungen an glückliche Tage im Leben des Verstorbenen. Die Idylle mutet wie ein Traumbild an. Zu den beiden Zwischensätzen mit ihren dahinhuschenden Triolenfiguren tritt schließlich ein Kontrapunkt mit einem schwärmerischen Gesang der Celli. Ein sehnsuchtsvoller Gesang der Geigen beschließt diesen Satz.

Wie schon der 2. Satz wirkt auch der 3. Satz wie ein Zwischenspiel. „Der Geist der Verneinung hat sich seiner bemächtigt. Die Welt erscheint ihm als sinnloses Treiben. Aufschrei der Verzweiflung“ (Mahler). Hier greift der Komponist auf die Melodie des von ihm verfassten Wunderhorn-Liedes „Die Fischpredigt des Hl. Antonius von Padua“ zurück. (Der Heilige ist verärgert, dass niemand seiner Predigt zuhören will und entschließt sich daher, den Fischen zu predigen). Die Strophengliederung dieses keinesfalls harmlosen schlichten Tanzes ist klar erkennbar. Skurriler Humor blitzt auf; die Anlage wie in einem Perpetuum mobile lässt an den Alltagstrott denken, quasi eine Satire auf das Menschsein. Doch ein  plötzlicher Umschwung, ein Zerflattern der Motive, vermittelt die grauenhafte Fratze des Lebens.

4. Satz: „Rührende Stimme des ‚naiven’ Glaubens. Volksliedtext ‚Urlicht’“ (Mahler) Hier greift er wieder auf einen Text aus „Des Knaben Wunderhorn“ zurück und setzt dafür die Altstimme ein. Es ist kein Glaubensbekenntnis, sondern eine „Bereitschaft zum Glauben“. Auf den feierlichen ersten Teil folgt ein eher bewegter Mittelteil. Im dritten Teil erfolgt die Rückkehr zur ursprünglichen Schlichtheit. Eine sparsame Instrumentierung, ein natürlicher Sprachrhythmus sowie der oftmalige Dur-Moll-Wechsel vermitteln die Sehnsuchtsstimmung. Das Finale wird vorbereitet.

5. Satz: „Die Fragen des ersten Satzes drängen sich erneut auf. Apokalyptische Visionen: der große Appell; schließlich der Ausblick auf Erlösung […]“ (Mahler). Nur die ersten beiden Strophen des Klopstock-Gedichtes „Die Auferstehung“ schienen Mahler geeignet, sodass er selbst einige hinzu dichtete. Hier bricht sich die Programmatik ihre Bahn. Es ist die Frage von Leben und Tod; Verklammerungen mit dem 1. und 3. Satz werden deutlich. Nach einem wilden Stimmungsausbruch entwickelt sich allmählich das Auferstehungsthema. Erwartungsvolle Unruhe wird spürbar. Der düsteren Choralmelodie Dies irae wird in den Posaunen das strahlende Auferstehungsmotiv entgegengesetzt. Doch die elementaren Kräfte scheinen den Menschen zu überwältigen. Fanfaren erklingen wie aus dem Jenseits. Auf dem Höhepunkt der Angst setzt die Reprise ein und der Chor beginnt mit der Erlösungsbotschaft. Verklärend erhebt sich aus den Stimmen der Solosopran, alsbald innig mit dem Altsolo verbunden. In steter Steigerung setzt sich das Auferstehungsthema durch. Durch Orgel und Glocken verstärkt, erstrahlt das Orchester schließlich in euphorischem Vollklang.

 

Dr. Manfred Merk